Mit Whistler wird Windows stabil
Unter dem Codenamen Whistler will Microsoft die beiden technisch verschiedenen Windows-Plattformen vereinigen. PCpro testete alle verfügbaren Betaversionen.
von Oliver Kluge
Whistler ist der neue Stern am Microsoft-Himmel. Es wird das erste Betriebssystem der Dot-Net-Strategie sein, und schon allein deshalb muss es mit Altlasten aufräumen. So ist denn das Wichtigste an Whistler nicht etwas, was neu in Windows eingebaut wurde, sondern das, was endlich ausgebaut wurde: DOS. Microsoft hat dies schon zu Zeiten von Windows 95 versprochen, und doch basiert das zuletzt erschienene Windows Me noch immer auf dem zwanzig Jahre alten System. Die Konsolidierung der Profi- und der Consumerwelt bringt dem Privatanwender endlich auch den stabilen Kern von Windows NT.
Der PCpro-Test zeigt: Microsoft hat jetzt Wort gehalten, DOS ist wirklich tot. Whistler zeigt denn auch eine geradezu erstaunliche Stabilität. Obwohl noch im Beta-1-Stadium, stürzte Whistler während des anderthalbwöchigen PCpro-Tests nur ein einziges Mal ab – da kann bei Me nicht mal die Produktionsversion mithalten. Weiterhin scheint klar zu sein: Whistler bleibt nur ein Codename. Als Produktnamen werden derzeit Windows 2001 und Dot-Net gehandelt.
Mit Whistler wird Windows stabil
(Seite 2 von 5)
Kopieren erwünscht?
Microsoft ist rigide, was die Teilnahme am Betatest angeht. Doch trotz des strengen Regiments lagen im Internet auf einschlägigen Seiten Raubkopien von Whistler. Das Auffinden war dabei mitunter so leicht, dass man verführt ist zu glauben, Microsoft würde absichtlich bei der Warez-Verbreitung seines Systems zuschauen. Manch eine Raubkopie lag dort über eine Woche, ohne dass Redmond eingeschritten wäre.
Im PCpro-Softwarelabor werden die Betaversionen Personal (Nachfolger von Me), Professional und Advanced Server getestet (beide 2000-Abkömmlinge). Personal und Professional unterscheiden sich im Wesentlichen nur durch die Ausstattung. Nur mit der Professional-Version kann man in Firmennetzwerken richtig arbeiten, Personal ist hier – wie Windows Me – recht abgemagert. Die wichtigen Funktionen für die normale Arbeit sind jedoch alle ohne Ausnahme vorhanden.
Mit Whistler wird Windows stabil
(Seite 3 von 5)
GUI: eine Frage des Geschmacks
Eine Geschmacksfrage ist die neue Optik, die um einiges bunter als Windows Me ist. Viele Schaltflächen sind in der Beta erheblich großflächiger als bisher. Auch der Start-Button wurde umgekrempelt: Er listet nur die Obergruppen My Computer, My Network Places, My Documents, Systemsteuerung und Hilfe. My Documents ersetzt zudem den bisherigen Arbeitsplatz-Ordner, der ersatzlos entfällt. Zum Windows-Verzeichnis gelangt man nur mehr über eine Klickorgie, bei der man zweimal bestätigen muss, dass man die angeklickten Ordner auch wirklich öffnen will.
Die zentrale Fläche des Start-Buttons wird beherrscht von einer Liste der am häufigsten aufgerufenen Programme. Die Liste der installierten Programme ist jedoch etwas klein geraten. Hat man einmal einen Folder geöffnet, gibt sich Whistler informativ. Auf der linken Seite werden immer eine Reihe nützlicher Funktionen sowie der wichtigsten Ordner bereitgehalten. Leider sind diese jedoch nicht wie im Explorer hierarchisch angeordnet
Mit Whistler wird Windows stabil
(Seite 4 von 5)
Neue Funktionen
Microsoft will im Rahmen der Dot-Net-Strategie auf Thin Clients setzen, und das heißt bei Microsoft Windows Terminal Services. Die Anwendung läuft auf einem starken Server, der Arbeitsplatzrechner zeigt nur die Fenster an und nimmt Maus- und Tastaturbefehle entgegen. Der passende Client hierfür ist bei Whistler jetzt schon im Lieferumfang, was die Installation deutlich vereinfacht.
Unklar ist derzeit, ob in der Produktionsversion die Schaltflache Comments? noch zu finden sein wird. In der Beta ruft dies ein umfangreiches Feedbackformular auf. Es wäre zu wünschen, dass das Feature überlebt, auch wenn dann Microsoft wohl etwas häufiger als bisher mit Rückmeldungen zu rechnen hätte.
Erheblich überarbeitet hat Microsoft die Hilfefunktion. Mit einer übersichtlichen Gliederung nach Themengebieten findet der Ungeübte hier schnell die Information, nach der er sucht. Allerdings vertraut die Hilfe auf das Vorhandensein einer Internet-Verbindung. Im Land der quasi-kostenlosen Standleitungen ist das ja kein Problem, aber für die deutsche Version sollte sich Microsoft da noch etwas einfallen lassen.
Mit Whistler wird Windows stabil
(Seite 5 von 5)
Geschwindigkeit
Die getesteten Versionen von Windows Whistler sind erste Betas. Geschwindigkeitsmessungen sind daher nur unter Vorbehalt aussagekräftig. In der Regel belassen Softwarehersteller Debug-Code im System, um bei Problemen leichter Analysen vornehmen zu können. Dieser Debug-Code kostet jedoch Performance. Dazu kommt, dass allerletzte Geschwindigkeitsoptimierungen oft noch nicht vorgenommen sind. Häufig sind Betas daher einen Tick langsamer als später die endgültigen Produktionsversionen.
Durch besondere Rasanz fällt Whistler Beta im PCpro-Test nicht auf. Das stand auch nicht zu erwarten. Die Stabilität des NT/2000-Kernels kostet ein wenig Performance genau wie das System-Restore-Feature, welches die Integrität des Systems schützen soll und daher bereits in 2000 und Me integriert wurde. Doch ein bisschen Performance gegen viel Stabilität zu tauschen ist kein schlechter Gedanke. Und ein klein wenig Power bekommt man auch zurück, weil mit Whistler jetzt auch beim Privatkunden endlich das moderne Dateisystem NTFS Einzug hält und FAT ablöst, das einmal ausschließlich für Disketten von 160 KByte Kapazität entwickelt wurde.
Genau wie FAT kann man DOS jedoch noch weiter verwenden, wenn man will, dafür gibt es die DOS-Emulation in der DOS-Box. Deren Kompatibilität ist jedoch derzeit noch auf dem bisherigen unbefriedigenden NT-Niveau, so dass ältere Spiele wie etwa Police Quest Open Season nicht fehlerfrei laufen. In Sachen DOS-Box kann Windows immer noch etwas von OS/2 lernen, dessen DOS-Box Spiele schon 1995 im Griff hatte.
cu Neo